Um so erstaunlicher und bedeutsamer für die Geschichte der Frauenbewegung
ist die Tatsache, daß im Jahre 1924 in der damals etwa 8000 Einwohner
zählenden Stadt Warendorf zur Stadtverordnetenwahl eine eigene Frauenliste
erfolgreich antrat. Der Erfolg der Frauenliste, die sich hauptsächlich
aus Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung zusammensetzte (Zentrum,
Katholischer Deutscher Frauenbund u.a.), darf wohl als der erste
parlamentarische Erfolg einer eigenständigen Frauenliste in Deutschland
überhaupt angesehen werden.
Angefangen hatte alles damit, daß das katholische Zentrum vor der
"Kommunalwahl" die Forderung gestellt hatte, "daß unbedingt ein Sitz
der Stadtverordneten für eine Frau ohne Standesgruppenbindung gesichert
werden müsse". Die Frauen bekamen die feste Zusicherung eines
Frauenmandats.
Das Zentrum stellte nun zur Kommunalwahl am 4.Mai 1924 eine
"Bürgerliche Verständigungsliste" auf, die durch die
Einbeziehung verschiedener Stände, Gruppen und Parteivertreter der
katholischen Partei ein möglichst breites Wählerspektrum sichern
sollte. Da die Anzahl der Sitze im Kommunalparlament zuvor von 24 auf 18
verringert worden war, versuchten Vertreter der Zentrumspartei, der Deutschen
Volkspartei, der christlichen Arbeiterschaft, der Handwerkerinnung, des
Gewerbevereins, des Beamtenvereins, der landwirtscjhaftlichen Ortsvereine
jeweils ihre Kandidaten auf der "Verständigungsliste" des Zentrums
zu plazieren. Bei der Wahl der Listenkandidaten gingen so die Frauen leer
aus, und es stand zu befürchten, daß im neuen "Kommunalparlament"
keine einzige Frau vertreten sein würde, da auch die konkurrierenden
Sozialdemokraten keine Frau aufgestellt hatten.
Die Warendorfer Frauen pochten erfolglos auf die von der Zentrumspartei gegebenen
Zusage eines Frauenmandates. Man verwies sie aber "auf die in Frage kommenden
Kommissionen", wo sie "Sitz und Stimme" erhalten
könnten.(2)
Noch glaubten die Warendorfer Männer mit einem solchen "Angebot" das
berechtigte Anliegen der Frauen übergehen zu können.
![]() Kreisarchiv Warendorf Bildarchiv der Altstadtfreunde |
Als Begründung für die Aufstellung der Frauenliste wurde von den
Frauen nicht nur angeführt, daß 50 Prozent der Wählerinnen
Frauenseien, sondern frau wies auch auf die Tatsache hin, "daß neben
den bisherigen, die Frau besonders interessierenden Belangen des Stadtparlaments
(wie Fragen der Mädchenschulbildung, Jugendfürsorge, Volksbildung,
Kino Armenpflege, Säuglings- und Tuberkulose-Fürsorge,
Krankenhausinteressen usw.) durch das neue Wolfahrtsgesetz" von Februar
1924 in den Städten weiter schwerwiegende Aufgaben den Frauen zufallen
würden. Frau wies darauf hin, "daß fast die gesamte bisher
vom Staat ausgeübte Wohlfahrtspflege, die Bewilligung der Mittel für
die Kriegshinterbliebenen, Kriegerwitwen und Waisen, die Sozial- und
Kleinrentner- Unterstützung usw. in Zukunft dem Kreis und den Gemeinden
obliegen." Die Gesamtheit müsse ein Interesse daran haben, "daß diese Dinge auch von Frauen mitberaten und beschlossen werden!" Obwohl nach Meinung der Frauen das Wesen der Frau nicht aufden politischen Kampf eingestellt sei und ihre "unbedingte Aufgabe es sei, ausgleichend zu wirken", sah frau sich doch durch das Frauenwahlrecht in die sittliche Pflicht" genommen, vor dem Weg einer eigenen Liste nicht zurückzuschrecken, um auf das politische Geschehen als Frau ausgleichend einwirken zu können.(5) |
Den Höhepunkt des Wahlkampfes der Frauenliste bildete der öffentliche
Vortrag von "Fräulein" Regierungsrat Dr. Laarmann aus Münster
über das Thema "Frau und Gemeindepolitik" am 23.04.1924 im Warendorfer
Gesellenhaus. Frau Dr. Laarmann begründete das Recht der vollen
Gleichberechtigung der Frau u.a. damit, daß die Frauen es sich durch
ihre Kriegsarbeit im Ersten Weltkrieg schwer erworben und geschaffen
hätten. Gerade durch die "Anforderungen der Versorgung des Mannes
im Felde, der Ernährung der Familie daheim und oft noch des Gelderwerbs
draußen" hätten die Frauen praktische, wirtschaftliche und
soziale Kompetenz bewiesen.(6)
Vor allem die wirtschaftliche Kompetenz sprach man aber den Frauen damals
ab. Der Artikelschreiber des Neuen Emsboten vom 30.04.1924 wies deshalb
darauf hin, daß in "wirtschaftlichen Fragen (...) die Frau sich
getrost dem Urteil des Mannes fügen" möge.
Das Urteil der Warendorfer Männerwelt über die Frauenliste
läßt sich in den Leserbriefdebatten der damaligen Zeit ablesen.
Da tauchte das Argument auf, daß die Frauenliste den Wahlkampf in die
Familien hineinträgt, und man verwies darauf, daß ein Mann doch
wohl eher eine "Gesinnungsgenossin" suche, "mit der er seine Gedanken
vertrauensvoll austauschen kann, aber nicht eine Gegnerin, die sein politisches
Handeln und Denken bekämpft." (7)
Die Frauenliste wurde als Sammelbecken für die "Unzufriedenen und
Quertreiber" bezeichnet.
Ein "kinderreicher Mann" sorgte für das wohl lustigste und zugleich
auch befremdlichste Argument der Debatte:
"An und für sich könnte ich mich (...) für eine
Frauenkandidatur erwärmen. Aber die Frauen haben lauter Kandidatinnen
aufgestellt, die keine Mütter sind. Deshalb muß ich vom Standpunkt
der kinderreichen Familie die Frauenliste ablehnen."(8)
Daß solche Argumente die Warendorfer Frauen auch 1924 nicht von der
Wahl ihrer InteressenvertreterInnen, der Frauenliste, abhalten konnten, ist
klar.
Das Wahlergebnis erwies sich dann auch als großer Erfolg. Die ersten
vier Frauen der Frauenliste zogen in das Warendorfer "Stadtparlament" ein,
da diese Liste 782 Stimmen erhalten
hatte. Die Sozialdemokkraten mußten sich damals mit 481 Stimmen (zwei
Sitze) zufrieden geben. Die Bürgerliche Verständigungsliste
gewann ohner Frauen im Rat zwölf Sitze.(9)
Trotz dieses Erfolges hat sich die Frauenliste anscheinend nicht als
eigenständige politische Kraft im Warendorfer Rat etablieren können.
Wohl kaum dürfte die Einschätzung des Kommentators des Neuen Emsboten
vom 7.5.1924 eine Erklärung für die Kurzlebigkeit der Liste anbieten.
Er schrieb nach der Stadtverordnetenwahl: "Aber die Warendorfer Frauen
und Männer werden sich bald wiederfinden. Denn kein Mann in ganz Deutschland
kann seine Frau so schlecht entbehren, wie der Warendorfer, wenn er hinterm
Altbierpott sitzt und seine Frau geduldig und liebevoll Haus und Hof bewahrt.
Und wenn demnächst Frauen und Männer, will sagen, Männer und
Frauen, im Warendorfer Stadtparlament sitzen, dann wird, daran zweifelt niemand,
der die Warendorfer Frauen und Männer kennt, in Eintracht gearbeitet
zum Wohl unserer lieben Vaterstadt und all ihrer Bewohner."
Der Grund für den wenig dauerhaften Erfolg der Frauenliste darf wohl
eher darin gesehen werden, daß die Stadtverordneten des Zentrums dem
Anliegen der ihnen grundsätzlich politisch nahestehenden Frauenliste
entgegengekommen sind, was die vermehrte Diskussion frauenpoplitischer Aspekte
schon in der ersten Stadtverordnetensitzung nach der Wahl
zeigte.(10)
Für die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland hat das Warendorfer
Wahlergebnis und die Aufstellung einer eigenen Frauenliste eine große
Bedeutung. Der Erfolg der Warendorfer Frauen schlug seine Wellen sogar
bis nach England, wo in Artikeln über die historische Tat der
Warendorfer Frauen berichtet wurde.
Die Frauenbewegung in Warendorf kann stolz auf ihre historischen Traditionen
sein, auch wenn einzelne Argumentationen, wie z.B. die Betonung des großen
"vaterländischen" Einsatzes im Ersten Weltkrieg, aus der heutigen Sicht
sicherlich befremden mögen.
Die "Frauenliste" hat es jedoch verdient, nicht in Vergessenheit zu
geraten.