Politisches Bewußtsein Warendorfer Frauen 1924



Die politische Umgestaltung des Kaiserreiches zur Weimarer Republik brachte den Frauen die Beseitigung der alten Gesindeordnung, die freie Berufswahl, den Achtstundentag, eine relative Verringerung der Ungleichheit der Löhne, das uneingeschränkte Koalitionsrecht und 1918 die Einführung des Frauenwahlrechtes.Daß Frauen aktiv in die Politik gingen, war zu dieser Zeit keineswegs selbstverständlich. Nur wenige Frauen, wie z.B. Gertrud Bäumer (DDP/MdR) und Anita Augspurg (Radikale Bürgerliche Frauenbewegung), schafften es, in der Frühzeit der Weimarer Republik in ein Landesparlament oder in den Reichstag gewählt zu werden. Dies ist nicht verwunderlich, setzte sich doch z.B. damals der Bund deutscher Frauenvereine (BdF), der mit rund einer Million Mitglieden den Kern der bürgerlichen Frauenbewegung ausmachte, für nur begrenzte politische Mitspracherechte für Frauen ein.(1)


Um so erstaunlicher und bedeutsamer für die Geschichte der Frauenbewegung ist die Tatsache, daß im Jahre 1924 in der damals etwa 8000 Einwohner zählenden Stadt Warendorf zur Stadtverordnetenwahl eine eigene Frauenliste erfolgreich antrat. Der Erfolg der Frauenliste, die sich hauptsächlich aus Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung zusammensetzte (Zentrum, Katholischer Deutscher Frauenbund u.a.), darf wohl als der erste parlamentarische Erfolg einer eigenständigen Frauenliste in Deutschland überhaupt angesehen werden.

Angefangen hatte alles damit, daß das katholische Zentrum vor der "Kommunalwahl" die Forderung gestellt hatte, "daß unbedingt ein Sitz der Stadtverordneten für eine Frau ohne Standesgruppenbindung gesichert werden müsse". Die Frauen bekamen die feste Zusicherung eines Frauenmandats.
Das Zentrum stellte nun zur Kommunalwahl am 4.Mai 1924 eine "Bürgerliche Verständigungsliste" auf, die durch die Einbeziehung verschiedener Stände, Gruppen und Parteivertreter der katholischen Partei ein möglichst breites Wählerspektrum sichern sollte. Da die Anzahl der Sitze im Kommunalparlament zuvor von 24 auf 18 verringert worden war, versuchten Vertreter der Zentrumspartei, der Deutschen Volkspartei, der christlichen Arbeiterschaft, der Handwerkerinnung, des Gewerbevereins, des Beamtenvereins, der landwirtscjhaftlichen Ortsvereine jeweils ihre Kandidaten auf der "Verständigungsliste" des Zentrums zu plazieren. Bei der Wahl der Listenkandidaten gingen so die Frauen leer aus, und es stand zu befürchten, daß im neuen "Kommunalparlament" keine einzige Frau vertreten sein würde, da auch die konkurrierenden Sozialdemokraten keine Frau aufgestellt hatten.
Die Warendorfer Frauen pochten erfolglos auf die von der Zentrumspartei gegebenen Zusage eines Frauenmandates. Man verwies sie aber "auf die in Frage kommenden Kommissionen", wo sie "Sitz und Stimme" erhalten könnten.(2)
Noch glaubten die Warendorfer Männer mit einem solchen "Angebot" das berechtigte Anliegen der Frauen übergehen zu können.


Hier können Sie Originalrextauszüge aus alten Zeitungen zur Frauenliste in Warendorf sehen
(Kopien aus dem Neuen Emsboten v.23.04.1924, dem 03.05.1924 sowie dem 03.05.1924)

Doch die Empörung gerade auch bei den bürgerlichen Frauen über diese selbst h e r r - liche Entscheidung war groß.
Auf einer Versammlung, an der 60 bis 80 Warendorfer Frauen teilnahmen, entschloß frau sich, der sogenannten "Verständigungsliste" eine eigene Frauenliste ergänzend zur Seite zu stellen. (3)

Angeführt wurde sie von der "Frau Oberlandesgerichtsrat" Klara Schmidt, Oststraße 39. Die Jugendfürsorgerin Johanna Schwarte, Brede 13, stand auf Platz 2 der Liste. Platz 3 und 4 nahmen Frau Theresia Weber-Kemner, Petersilienstraße 2, und "Frau Kaufmann" Frieda Schräder von der Ostpromenade 6 ein. Des weiteren kandidierten für die Liste die Telegrafen-Assistentin Paula Gildemeister, "Frau Bäckermeister" Heinermann und "Frau Sparkassendirektor" Becker.(4).
Klara Schmidt 1942
Klara Schmidt im Jahre 1942
Kreisarchiv Warendorf
Bildarchiv der Altstadtfreunde
Als Begründung für die Aufstellung der Frauenliste wurde von den Frauen nicht nur angeführt, daß 50 Prozent der Wählerinnen Frauenseien, sondern frau wies auch auf die Tatsache hin, "daß neben den bisherigen, die Frau besonders interessierenden Belangen des Stadtparlaments (wie Fragen der Mädchenschulbildung, Jugendfürsorge, Volksbildung, Kino Armenpflege, Säuglings- und Tuberkulose-Fürsorge, Krankenhausinteressen usw.) durch das neue Wolfahrtsgesetz" von Februar 1924 in den Städten weiter schwerwiegende Aufgaben den Frauen zufallen würden. Frau wies darauf hin, "daß fast die gesamte bisher vom Staat ausgeübte Wohlfahrtspflege, die Bewilligung der Mittel für die Kriegshinterbliebenen, Kriegerwitwen und Waisen, die Sozial- und Kleinrentner- Unterstützung usw. in Zukunft dem Kreis und den Gemeinden obliegen."
Die Gesamtheit müsse ein Interesse daran haben, "daß diese Dinge auch von Frauen mitberaten und beschlossen werden!" Obwohl nach Meinung der Frauen das Wesen der Frau nicht aufden politischen Kampf eingestellt sei und ihre "unbedingte Aufgabe es sei, ausgleichend zu wirken", sah frau sich doch durch das Frauenwahlrecht in die sittliche Pflicht" genommen, vor dem Weg einer eigenen Liste nicht zurückzuschrecken, um auf das politische Geschehen als Frau ausgleichend einwirken zu können.(5)

Den Höhepunkt des Wahlkampfes der Frauenliste bildete der öffentliche Vortrag von "Fräulein" Regierungsrat Dr. Laarmann aus Münster über das Thema "Frau und Gemeindepolitik" am 23.04.1924 im Warendorfer Gesellenhaus. Frau Dr. Laarmann begründete das Recht der vollen Gleichberechtigung der Frau u.a. damit, daß die Frauen es sich durch ihre Kriegsarbeit im Ersten Weltkrieg schwer erworben und geschaffen hätten. Gerade durch die "Anforderungen der Versorgung des Mannes im Felde, der Ernährung der Familie daheim und oft noch des Gelderwerbs draußen" hätten die Frauen praktische, wirtschaftliche und soziale Kompetenz bewiesen.(6)

Vor allem die wirtschaftliche Kompetenz sprach man aber den Frauen damals ab. Der Artikelschreiber des Neuen Emsboten vom 30.04.1924 wies deshalb darauf hin, daß in "wirtschaftlichen Fragen (...) die Frau sich getrost dem Urteil des Mannes fügen" möge.

Das Urteil der Warendorfer Männerwelt über die Frauenliste läßt sich in den Leserbriefdebatten der damaligen Zeit ablesen. Da tauchte das Argument auf, daß die Frauenliste den Wahlkampf in die Familien hineinträgt, und man verwies darauf, daß ein Mann doch wohl eher eine "Gesinnungsgenossin" suche, "mit der er seine Gedanken vertrauensvoll austauschen kann, aber nicht eine Gegnerin, die sein politisches Handeln und Denken bekämpft." (7)

Die Frauenliste wurde als Sammelbecken für die "Unzufriedenen und Quertreiber" bezeichnet.
Ein "kinderreicher Mann" sorgte für das wohl lustigste und zugleich auch befremdlichste Argument der Debatte:
"An und für sich könnte ich mich (...) für eine Frauenkandidatur erwärmen. Aber die Frauen haben lauter Kandidatinnen aufgestellt, die keine Mütter sind. Deshalb muß ich vom Standpunkt der kinderreichen Familie die Frauenliste ablehnen."(8)
Daß solche Argumente die Warendorfer Frauen auch 1924 nicht von der Wahl ihrer InteressenvertreterInnen, der Frauenliste, abhalten konnten, ist klar.
Das Wahlergebnis erwies sich dann auch als großer Erfolg. Die ersten vier Frauen der Frauenliste zogen in das Warendorfer "Stadtparlament" ein, da diese Liste 782 Stimmen erhalten
hatte. Die Sozialdemokkraten mußten sich damals mit 481 Stimmen (zwei Sitze) zufrieden geben. Die Bürgerliche Verständigungsliste  gewann ohner Frauen im Rat zwölf Sitze.(9)

Trotz dieses Erfolges hat sich die Frauenliste anscheinend nicht als eigenständige politische Kraft im Warendorfer Rat etablieren können. Wohl kaum dürfte die Einschätzung des Kommentators des Neuen Emsboten vom 7.5.1924 eine Erklärung für die Kurzlebigkeit der Liste anbieten. Er schrieb nach der Stadtverordnetenwahl: "Aber die Warendorfer Frauen und Männer werden sich bald wiederfinden. Denn kein Mann in ganz Deutschland kann seine Frau so schlecht entbehren, wie der Warendorfer, wenn er hinterm Altbierpott sitzt und seine Frau geduldig und liebevoll Haus und Hof bewahrt. Und wenn demnächst Frauen und Männer, will sagen, Männer und Frauen, im Warendorfer Stadtparlament sitzen, dann wird, daran zweifelt niemand, der die Warendorfer Frauen und Männer kennt, in Eintracht gearbeitet zum Wohl unserer lieben Vaterstadt und all ihrer Bewohner."

Der Grund für den wenig dauerhaften Erfolg der Frauenliste darf wohl eher darin gesehen werden, daß die Stadtverordneten des Zentrums dem Anliegen der ihnen grundsätzlich politisch nahestehenden Frauenliste entgegengekommen sind, was die vermehrte Diskussion frauenpoplitischer Aspekte schon in der ersten Stadtverordnetensitzung nach der Wahl zeigte.(10)

Für die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland hat das Warendorfer Wahlergebnis und die Aufstellung einer eigenen Frauenliste eine große Bedeutung. Der Erfolg der Warendorfer Frauen schlug seine Wellen sogar  bis nach England, wo in Artikeln über die historische Tat der Warendorfer Frauen berichtet wurde.
Die Frauenbewegung in Warendorf kann stolz auf ihre historischen Traditionen sein, auch wenn einzelne Argumentationen, wie z.B. die Betonung des großen "vaterländischen" Einsatzes im Ersten Weltkrieg, aus der heutigen Sicht sicherlich befremden mögen.
Die "Frauenliste" hat es jedoch verdient, nicht in Vergessenheit zu geraten.


Anmerkungen:


1. Hervé, F., Brot und Frieden - Kinder, Küche, Kirche; Frauenbewegung in der Weimarer Republik, S., 119 ff.,       in dies. (hg.) Geschichte der deutschen Frauenbewegung, 3.Aufl., Köln 1987
2. Neuer Emsbote vom 30.04.1924
3. Neuer Emsbote vom 23.04.1924
4. Neuer Emsbote vom 20.04.1924
5. Ebd.
6. Neuer Emsbote vom 25.04.1925
7. Neuer Emsbote vom 01.05.1924
8. Neuer Emsbote vom 03.05.1924
9.Neuer Emsbote vom 07.05.1924
10.Neuer Emsbote vom 01.06.1924

Hans-Joachim Werner: in: P. Leidinger (Hg.): Warendorfer Schriften, 19/20 (1989/90), S.52-58
(Alle Rechte beim Autor; Zitierung mit korrekter Quellenangabe erwünscht)


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Letzte Änderung am 06.12.2011